06.01.2022, 00:43
(05.01.2022, 23:37)saxana schrieb: Respekt, wen Du alles auf Lager hast.
Das war früher meine Welt: Okkultismus, Magie. Ein damaliger Bekannter war im O.T.O. aktiv. Da lag der Kontakt zu Crowleys Büchern nahe.
http://www.oto.de/
Damals Ende der 80er, Anfang der 90er war man allerdings logischerweise noch nicht derart global vernetzt. Das ganze lief also alles im viel kleineren Rahmen ab. Irgendwo zwischen der Gothic-Szene, Rauschkräuter-Konsumenten und Ritualmagiern fand man mich - das war damals eine richtig geile Zeit. Ich war Teil von etwas im Stil einer rabenschwarzen Hippie-Okkult-Szene.

Wobei wir unsere Gruppe damals gar nicht benannten - wir hatten einfach unseren Spaß an dem, was wir taten. Schubladen dafür durften die Aussenstehenden suchen.
(05.01.2022, 23:37)saxana schrieb: Stellt sich nun die Frage, könnte er Seth sein - nein bitte nicht !!
https://dewiki.de/Lexikon/Aleister_Crowley
Wenn man sich Crowleys Philosophie anschaut, gibt es sicherlich auch dort Annäherungen. Aber die Unterschiede zum Seth-Material überwiegen mehr als deutlich. Crowley war zudem scheinbar phasenweise mehr an Skandalen seine Person betreffend interessiert als an ernsthafter Bewusstseinserweiterung. Manche Kritiker behaupten, er war nie etwas anderes als ein Blender.
Mir war 'Das Tier 666' jedenfalls zu plump. Da gab es schon zu Crowleys Lebzeiten interessantere Alternativen. Ich war in meinen jüngeren Jahren ein großer Fan von Austin Osman Spare und seiner Sigillenmagie bzw. Zos Kia Philosophie. Spare gilt als Vater der modernen Chaosmagie. Auch wenn er selbst das vermutlich strikt verneint hätte. Spares magisches Konzept ist speziell.
Zitat:Spare verknüpfte seine Magie mit der Psychologie seines Zeitgenossen Sigmund Freud, indem er die Erfüllung von Wünschen mit magischen Ritualen im Unterbewusstsein verankern wollte. Die Wunscherfüllung geschieht gemäß Spare, wenn der ausführende Magier eine Sigill in seinem Unterbewusstsein verankert und sie danach vollständig vergisst. Eine Sigill ist ein „Wunsch-Symbol“, das kreativ erschaffen wird, während man sich auf das Gewünschte konzentriert. Danach soll man diese Sigill durch Konzentration und Trance im Unterbewusstsein verankern und dann vergessen. Spare versuchte auf diese Art künstliche Komplexe zu erschaffen, die die von ihm intendierte Wirkung haben sollten. Diese Wirkung führt entweder zur Materialisierung des Wunsches, oder zu Erkenntnissen über den Wunsch und seine Beziehung zu einem selbst. Spare bezeichnete seine magischen Methoden als „atavistische Nostalgie“ oder „Wiederbelebung von Atavismen“.
(...)
Der Zos Kia Cultus ist eine von Austin Osman Spare entwickelte Bewegung des Okkultismus bzw. der Magie. Sie konzentriert sich auf das persönliche Universum und den Einfluss des Magiers darauf. Dementsprechend hat sie einen sehr persönlichen und individualistischen Charakter.
Zos ist nach Spare die Sphäre der Körper, die als Ganzheit angesehen werden und Kia ist das beobachtende Selbst bzw. Gott, das sich in die Welt projiziert. Kia wird dabei von Spare durch das im Englischen mögliche Wortspiel „I = Eye“ angedeutet, das „Ich“ als Auge, als ewiger Beobachter. In den das Buch der Freude einleitenden Definitionen schreibt Spare unter anderem über das Kia: „Die absolute Freiheit, deren Freisein mächtig genug ist, um ‚Realität‘ zu sein und dennoch frei zu sein in jedem Augenblick. [...] Je weniger über Kia gesagt wird, desto weniger wird es verschleiert.“ Dies stellt laut Spare den einzigen Glauben dar, der ohne Einschränkung gültig sein soll, weil er selbstverständlich sei, denn er werde von jedem Menschen in jedem Augenblick seines Lebens erfahren, und dies sei der einzige Glaube, der keinen Glauben beinhalte. Spare drückt dies symbolisch in der Kombination von Auge und Hand aus. Durch diesen Glauben soll es möglich sein, jeden anderen Glauben in Freien Glauben (frei von Konzepten) zu verwandeln.
Die Techniken des Zos Kia Cultus zielen darauf ab, die Sphäre des Kia (des Selbst) immer mehr zu erweitern und dadurch eine kosmische Ekstase zu erfahren, da die Grenzen zwischen dem von Identitäten begrenzten Selbst und der ganzen Welt dadurch aufgehoben werden sollen. Die magischen Techniken, die Spare entwickelte, beinhalten Sigillenmagie, Sexualmagie, Evokation und Invokation, wobei er gänzlich eigene Ansätze entwickelte.
(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Austin_Osman_Spare )
Was vielleicht in diesem Artikel nicht ganz deutlich wird: Es gibt im Zos Kia keine vorgegebenen magischen Zeichen (Sigillen) wie etwa sonst in der Ritualmagie. Man formuliert einen Wunschsatz und designt daraus ein individuelles Symbol, das den formulierten Wunsch in nur noch abstrakter Form abbildet. Das entstandene Zeichen sollte demnach optisch möglichst keinen direkten Bezug zum Wunsch aufweisen. Also wenn man sich Geld wünscht, z.B. keinem Dollarzeichen gleichen. Typisches Beispiel einer solchen Sigil:
![[Bild: a7629214223de9ffcb58f63f80b44fce.jpg]](https://i.ibb.co/8mkwGT8/a7629214223de9ffcb58f63f80b44fce.jpg)
Danach wird die 'Sigil' geladen, indem sich intensiv darauf konzentriert wird - ohne an den hiermit assoziierten Wunsch zu denken. Idealerweise sollte man hierzu einen Moment der völligen Gedankenleere wählen, etwa in einem durch Trommeln erzeugten Trancezustand. Oder während des Orgasmus - eine bevorzugte Option, die Spares komplette Lehre (meiner Ansicht nach zu Unrecht) in die sexualmagische Ecke rückte. Nach dem Laden wird die Sigil wie auch der Wunsch komplett vergessen. Bei gewichtigen Wünschen dürfte dies jedoch kaum gelingen. Die Sigil kann man als Platzhalter eines ausformulierten Glaubenssatzes definieren, der das Bewusstsein rein auf der Symbolebene anspricht. Ähnlich wie etwa ein Logo automatisch Assoziationen mit einem ganz bestimmten Produkt weckt, wobei diese dann wiederum mit entsprechenden Erinnerungen und Gefühlen 'besetzt' sein können. So gesehen sind Firmenlogos nichts anderes als allgemeingültige Sigillen, die unser Bewusstsein symbolhaft tangieren (und manipulieren?) sollen, je öfter wir sie wahrnehmen.
Wobei sich durch diese Überlegung für mich fast zwangsläufig eine weitere Methode ergibt, eigene Sigillen zu laden. These: Zumindest bei längerfristigen Wünschen und Wünschen ohne 'Verfallsdatum' kann ich mir die Arbeit mit der Gedankenleere komplett sparen. Und mir den Zettel mit der gezeichneten Sigil stattdessen dort hinhängen, wo sie von mir möglichst oft bemerkt wird. Mit der Zeit werde ich die Bedeutung des Zeichens vermutlich vergessen und sogar die Sigil gar nicht mehr bewusst wahrnehmen, während sie sich in meinem Bewusstsein ans Werk machen kann.
Auch erinnert mich die Sigillenmagie an die Arbeit mit Heilzeichen:
https://www.oe24.at/old-channel/gesund/h...hen/618242
Zitat:Skeptiker, die schon die Wirkungsweisen der klassischen Homöopathie anzweifeln, werden dieser Methode fraglos erst recht kritisch gegenüberstehen. Aber: Man muss nicht an die Heilkraft der Zeichen glauben – sie entfalten ihre Wirkung angeblich trotzdem.
Was angeblich auch für die Sigillenmagie gilt. Es genügt demnach, wenn der symbolisierte Wunsch ins Bewusstsein 'sickern' kann. Ob das Ego noch an der Wunscherfüllung zweifelt, scheint dann zweitrangig zu werden.
Bei Neville Goddards 'Leiterexperiment' (in dem es darum geht, vor dem Einschlafen zu visualisieren, daß man gerade eine Leiter erklimmt) gibt es diesen Schritt, bei dem man sich bewusst tagsüber immer wieder einen Zettel vorliest, auf dem steht: "Ich werde keine Leiter emporsteigen." Ich kann aus eigener Erfahrung berichten, daß in dem Fall die höhere Priorität bei der Visualisierung vor dem Einschlafen (und dem Gefühl des bereits realisierten Wunsches) liegt - da die Leiter sich dennoch manifestiert.
Möglicherweise ersetzt der Wunsch als Symbol (also die Sigil) den Zustand der leichten Trance vor dem Einschlafen, den man bevorzugt zur Visualisierung nutzen sollte?

Ich merke gerade wieder, wie faszinierend das Thema 'Sigillen' ist.
Hier übrigens noch ein weiterer Artikel über Spare und die Arbeit mit Sigillen:
https://web.archive.org/web/201901031923...spare.html
Das Prinzip des 'Neither-Neither' fand ich damals hochinterssant. Lange bevor ich merkte, daß es sich zum Beispiel auch im Taoismus und bei Nagarjuna findet.
Zitat:Spare verwendet manchmal den Begriff 'Neither-Neither' als Beschreibung eines bestimmten grundlegenden Bewusstseinszustands, andere Begriffsbildungen in ähnliche Richtungen sind Kia oder die "Todesstellung", letztere eine Praxis, die zu diesem Zustand hinführen kann. Neither-Neither heißt Weder-Noch, weder das eine, noch das andere (das Gegenteil des Einen). Es handelt sich um eine Erfahrung, die irreversibel klar macht, dass es keinerlei intellektuelle Feststellung über die Gesamtheit der Phänomene gibt, die wahr ist, auch vom Gegenteil kann man das nicht sagen. Speziell bedeutet das, das es kein religiöses, esoterisches oder philosophisches Konzept gibt, welches wahr ist, ebenso gibt es keinen Weg zur Wahrheit oder der Wahrheit, daher auch kein Verhalten oder eine Art der konzeptgebundenen geistigen Übung, um zur Wahrheit zu gelangen. Kenner der Philosophie des Mahayana Buddhismus werden sich hier sofort an die Prajna-Paramita-Sutras und den "Mittleren Weg" von Nagarjuna erinnern, Spare dürfte aber auch diese Ideen gänzlich aus eigener Erfahrung entwickelt haben. Zu seinen Lebzeiten war nur eine einzige englische Übersetzung aus dieser Literatur erhältlich (Buddhist Mahayana Texts Part 2, ed. Max Müller 1894), außerhalb der Indologie-Institute wurden diese Texte erst nach 1960 durch die Arbeiten von Edward Conze bekannt.
Weiter unten im Text heißt es dann:
Zitat:Mit anderen Worten, die nonduale Sichtweise ist herzlich wenig dafür geeignet, gesellschaftliche und religiöse Strukturen und Hierarchien zu stützen, sondern sie dient zur Befreiung des individuellen Bewusstseins. Ihr typischer menschlicher Vertreter ist der verrückte Heilige, der sich an keine religiösen Konventionen hält, der von Ort zu Ort wandernde tantrische Yogi, der Erotik, Drogen, Musik und andere Sinneserfahrungen in Mittel seines Pfades zu verwandeln versteht, der im geheimen wirkende Magier, dessen Magie nicht mit religiösen Konzepten verbunden ist, der Freistil-Schamane, Chaos-Mystiker, Psychonaut, der furchtlose Erforscher der Mysterien.
Ich finde Spares Kunst heute noch faszinierend:
https://fleurmach.com/2012/09/16/drawing...man-spare/
http://www.artnet.com/artists/austin-osman-spare/
Von Spare selbst gibts online auch ein paar Fotos:
https://www.gettyimages.de/fotos/austin-osman-spare
Mehr über AOS, wie Spare innerhalb der Chaos-Szene auch genannt wird, findet sich z.B. im Buch 'Chaosmagie' von Jaq D. Hawkins. Hier über Google Books teilweise kostenlos lesbar:
https://books.google.de/books?id=fkmXAwA...EUDE&hl=de
Hier noch ein paar Schriften von Spare, leider nur in Englisch:
https://hermetic.com/spare/index
Das war jetzt (einmal mehr) ausführlicher als geplant. Aber wenn ich endlich mal über Austin Osman Spare schreiben kann, dann wenigstens richtig. Und sei es, daß ich nur eifrig verlinke und zitiere.

You cannot live in a safe universe and an unsafe one at the same time. You have to make a complete choice.
- The Deleted Sessions, September 29, 1975
- The Deleted Sessions, September 29, 1975